Als kleinen Exkurs zu unserer Storytelling-Reihe begeben wir uns heute in die tiefen Weiten der Visual Storytelling-Welt. Wer unsere Beiträge schon länger verfolgt, kennt wahrscheinlich unseren ganzheitlichen Ansatz: Wir gestalten Webseiten, die für alle zugänglich (accessible) sind.

Deshalb möchten wir auf eine Barriere aufmerksam machen, die oft übersehen wird: die Emotion, die durch das Visual Storytelling vermittelt wird. Wodurch entsteht diese Emotion und inwiefern ist sie eine Barriere? Dazu tauchen wir kurz in die Theorie ein: Nicht jedes Bild erzeugt Emotionen und nicht jede Emotion ist eine Barriere.

Wie erzeugen Bilder Emotionen & welche Barriere kann es da geben?

Ein Bild, das eine emotionale Wirkung erzeugt, erfüllt meist drei Kriterien: Es spricht die Sinne an, ist relevant für den Betrachter und wirkt authentisch. Die Barriere, die hierbei entstehen kann, ist jene, dass diese Emotionen Menschen mit Behinderung nicht erreichen – oder eine Emotion erzeugt wird, die nicht mit dem Inhalt der Webseite oder des digitalen Services übereinstimmt. Eine Barriere kann also einerseits dadurch entstehen, dass keine Menschen mit Behinderung auf den Bildern dargestellt werden – oder dadurch, dass sie falsch dargestellt werden. Damit sind wir bei der zentralen Fragestellung: ! Wie stelle ich Menschen mit Beeinträchtigung dar, damit sie ebenbürtig wahrgenommen werden?

Wie kommen sie von dem hilfsbedürftigen und infantilen Image los? Wie wird die Botschaft durch die richtigen Bilder unterstützt und wie durch die falschen zunichte gemacht? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, beleuchten wir die drei Kriterien für emotionale Bilder genauer.

Die Sinne ansprechen

Da wir heute in einer hoch technisierten und digital vernetzen Welt leben, spricht der Mensch mehr denn je auf die sensorische Wahrnehmung an. Uns gefällt alles, was die Sinne anregt. Bilder können zwar nicht wirklich gegessen, gefühlt, gerochen oder gehört werden, aber sie können den Wunsch danach in uns wecken. “Sinnliche” Momentaufnahmen wecken in uns Erinnerungen und erzeugen Nostalgie und wir können uns daher besser mit dem Inhalt identifizieren. Um mit diesem Punkt die Zielgruppe nicht ungewollt einzuschränken, darf nicht nur auf einen “Sinn” gesetzt werden, da nicht alle Menschen jeden ihrer Sinne im gleichen Umfang nutzen (können). Für ein Urlaubsgebiet ist es daher beispielsweise sinnvoll auch die Kulinarik, die Hör-, Seh- und Geruchserlebnisse (z.B. Vogelgezwitscher, Blumenwiesen etc.) hervorzuheben – nicht nur Bergsteigerrouten, die beispielsweise Blinde, Gehbeeinträchtigte oder auch ältere Menschen kaum bis gar nicht nutzen können.

Relevanten Inhalt zeigen

Hier geht es wieder um die Identifikation mit dem Inhalt. Und die ist nur möglich, wenn der Inhalt der Bilder für den Betrachter relevant ist. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen: Inhalt mit relevanten Bildern erhält sogar 94% mehr Views als Inhalt ohne. Für die Relevanz spielt die Diversität eine besonders große Rolle. Die wenigsten Zielgruppen sind homogen und sie sollten daher auch nicht so dargestellt werden. Verschiedene Geschlechter, Kulturen, Altersklassen und Behinderungen dürfen dabei nicht übergangen werden. Im Vorteil ist, wer die Vielfalt seiner Zielgruppe genau kennt. Nicht nur die Herkunft und die körperliche Verfassung entscheiden über die Relevanz, die visuelle Geschichte reflektiert im Idealfall auch zuordenbare Persönlichkeiten, z.B. den Helden, den Weisen oder den kreativen Erschaffer (siehe die klassischen Storytelling Archetypen).

Authentisch wirken

Egal, wie relevant und sinnlich der Inhalt eines Bildes sein mag, wenn es nicht authentisch wirkt, dann wird es im Betrachter keinerlei Emotion wecken. Aber wie sehen authentische Fotos aus? Es müssen nicht zwangsweise ungeschminkte Handyfoto-Schnappschüsse sein. Aber es geht in diese Richtung. Aufrichtige, ehrliche und bewegte Fotos gefallen den Menschen am besten. Daher kommen auch Fotos im Instagram-Style besser an als traditionelle Stock-Fotos. Authentizität bedeutet auch, dass bei Imagebildern für ein Unternehmen auch wirklich die Mitarbeiter und keine Models fotografiert werden sollen. Besonders bei Menschen mit Beeinträchtigung erkennt man sofort, ob jemand kurz für ein Foto in einen Rollstuhl gesetzt wurde oder ob jemand darin sitzt, für den es völlig selbstverständlich ist. Das ist auch wichtig, weil die Mitarbeiter im Idealfall bei ihren gewohnten Tätigkeiten abgelichtet werden sollen, um nicht gekünstelt in die Kamera zu lächeln.

Alles eine Frage der Perspektive

Ein wichtiger, allgemeiner Punkt ist noch die Perspektive. Man soll jedem Menschen auf Augenhöhe begegnen – symbolisch, aber auch wörtlich. Kleingewachsene und Rollstuhlfahrer sollen nicht von oben herab und größere nicht ehrfürchtig von unten fotografiert werden. Denn die Perspektive lenkt unsere Wahrnehmung und soll deshalb nicht die Geschichte verfälschen.

Visuelle Geschichten – für Blinde

Visuelles Storytelling kann allerdings nicht alle erreichen. Damit aber die Inhalte an Blinden und Sehbeeinträchtigen nicht vorbeigehen, können sie – zumindest im Web – durch Alternativtexte, die von einem Screen-Reader vorgelesen werden, ersetzt werden. Auch der Alternativtext kann einen Mehrwert bieten – sofern die Geschichte gut erzählt wird. Damit ist aber noch nicht alles getan. Die Website soll, damit sich das Storytelling multisensorisch in seiner Wirkung entfalten kann, in eine sinnvolle und spannende Struktur gegossen werden, die dann auch gleichzeitig semantisch ist und somit auch sehbeeinträchtigten oder blinden Benutzern Interaktionsmöglichkeiten und Orientierung in der Erzählstruktur bietet.

Fazit

Visual Storytelling eröffnet uns ein unendlich großes Spektrum an Möglichkeiten. Dabei dürfen wir aber nicht den Fokus verlieren. Das Wichtigste ist, die Menschen emotional zu erreichen – und diese sind oft vielfältiger als wir im ersten Moment meinen. Um ansprechende, relevante und authentische Bilder zu zeigen, müssen wir genau wissen, wen sie berühren sollen und was diese Menschen bewegt. Auf die Perspektive ist besondere Acht zu legen, da sie den Aussage von Bildern stark beeinflussen kann. Für Blinde soll der Alternativtext, z.B. bei Bildern auf Webseiten, die Geschichte auf ebenso eindrucksvolle Weise beschreiben.

Wer neugierig geworden ist und noch mehr zum Thema Visual Storytelling erfahren möchte, dem empfehle ich die Lektüre des Visual Storytellers Guide to Web UI Design. Have Fun!